„Je höher die Anzahl an Fehlermeldungen innerhalb eines Teams, desto besser dessen Leistung.“
Diese Erkenntnis von Amy C. Edmondsons überrascht nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick wird klar: Hoch performante Teams machen nicht mehr Fehler als andere. Sie gehen bewusst damit um, verstecken Fehler nicht, sondern thematisieren diese offen und nutzen sie als Chance zum Lernen. Für diese positive Fehlerkultur braucht es eine Basis des Vertrauens, eine Atmosphäre, in der sich die Teammitglieder sicher genug fühlen, Fehler und Bedenken offen anzusprechen und aufzuarbeiten.
Eine Atmosphäre, in der man sich traut, den Mund aufzumachen
Amy C. Edmondson erforscht das Konzept der psychologischen Sicherheit seit vielen Jahren an der Harvard Universität. Psychologische Sicherheit beschreibt eine Arbeits-Atmosphäre, in der sich die Menschen sicher genug fühlen, zwischenmenschliche Risiken einzugehen und Bedenken, Fragen oder Ideen zu äußern. Mitarbeitende fühlen sich ermuntert, die eigene Meinung, Fehler und Skepsis zu äußern. Sie haben keine Angst vor Bestrafung oder Beschämung, wenn sie „etwas Kritisches sagen oder ihr Nicht-Verstehen über Fragen zum Ausdruck bringen“. Salopp gesagt: eine Umgebung, in der man sich traut, den Mund aufzumachen. Das hat nichts mit allzeit harmonischer Wohlfühlumgebung zu tun. Kritik, Fehler, Skepsis werden respektvoll, aber klar und deutlich ausgesprochen. Die Folge ist offensichtlich: Kooperation und Kollaboration zwischen Schnittstellen fällt leicht, Fehler werden schnell aufgedeckt und korrigiert, ein Scheitern wird frühzeitig wahrgenommen und Lösungen gesucht, kreative Ideen werden geteilt und gemeinsam weiterentwickelt. In einer Vielzahl von Feld-Studien, die bekannteste davon ist sicherlich das Projekt „Aristoteles“ von Google, wurde mittlerweile bestätigt, dass psychologische Sicherheit das wesentliche Element erfolgreicher Teams ist.
Klingt wie ein Traum und ist gleichzeitig nicht wirklich überraschend. Auf diesen Weg haben sich doch schon viele Unternehmen gemacht – so meine erste Reaktion. In der heutigen Zeit ist es doch selbstredend, dass Innovation und Anpassungsfähigkeit entscheidende Wettbewerbsvorteile sind. Und das geht nur über die Zusammenarbeit der vielen, unterschiedlichen Talente in Organisationen.
„Ideen und Einwände werden häufiger zurückgehalten als eingebracht.“
Erstaunt haben mich dann doch die Studienergebnisse von Amy C. Edmondson. Sie zeigen, dass Menschen in Organisationen sich häufiger für die Zurückhaltung als für das Einbringen von Ideen und Einwänden entscheiden. Edmondson sammelte in ihrer Feldforschung eine Vielzahl impliziter Regeln in Organisationen, die allesamt mehr zu Schweigen als zu Reden gegenüber der Hierarchie führen. Glaubenssätze, die nichts mit psychologischer Sicherheit zu tun haben und lernendes und agiles Entscheiden in Organisationen verhindern, anstatt dieses zu fördern.
Was tun? Wie also ist eine psychologisch sichere Atmosphäre zu schaffen, in der Perspektivenvielfalt auch tatsächlich konstruktiv gelebt wird?
Führende sind die Schlüsselpersonen in Organisationen, die mit ihren Teams die Leitplanken für eine psychologisch sichere Arbeitsumgebung schaffen. Wesentliches Element dabei ist der konstruktive Umgang mit Fehlern und Scheitern. Amy C. Edmondson bezeichnet das als Entstigmatisierung des Scheiterns.
Zusammengefasst geht es um folgende Komponenten der Zusammenarbeit, die Führende im Blick haben sollten:
- Der Arbeit Sinn und Bedeutung geben
- Zu aktiver, kritischer Beteiligung ermuntern
- Eine angstfreie, positive Scheiterns- und Fehlerkultur etablieren
- Formen des Scheiterns differenzieren
- Produktive Reaktionen auf die unterschiedlichen Arten des Scheiterns festlegen
- Bei riskanten, neuartigen Projekten intelligentes Scheitern belohnen
- Situationsbezogene Demut für das eigene „Nichtwissen“ zeigen
- Aufrichtiges Interesse an den Meinungen, Ideen und Antworten anderer zeigen und diese wertschätzen
Susanne Delius